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Wenn du einen Dinosaurier ausgräbst, hat der immer auch deine Form.< Felix Wunderlich und die Archäologie des Unterbewussten von Ingo Gerlach Etymologisch zu beginnen, liegt bei diesem Namen sehr nahe – und ist darüber hinaus auch durchaus aufschlussreich: >>Erst seit dem mhd., stärker seit dem 16. Jhd., konkurriert >wunderbar<, das seit etwa 1700 >wunderlich< aus seinen meisten älteren Gebrauchsweisen nahezu verdrängt und ihm nur in der Bedeutung >sonderbar< entschiedenen Vorrang gibt.<< heißt es im Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm zum Stichwort >wunderlich>Da ich mit Haaren male, ist es doof, Haare zu malen<<, begründet er die Anwesenheit dieser >Tarnkappen< und gibt zugleich ein Beispiel seiner von Paradoxien und Wortspielen reichen Sprachwelt. Die Begrenzung spielt eine wichtige Rolle in den Bildern Wunderlichs. Der eng bemessene Raum war für ihn zunächst der Freiraum, in den er seine ersten Porträts einfügte. In weitläufige Kreuzworträtselgitter bettete er kleine Miniaturen und stellte somit einen alltäglichen Funktionsrahmen her, in den er seine Bilder setzen konnte. Und so entstanden sie, wenn man so will, tatsächlich als Illustrationen des Rätselhaften. Die Mickey-Mouse-Ohren und andere Kopfbedeckungen führen diese charakteristische Begrenzung weiter. Ebenso die vor allem in den Großformaten genutzten >>Zierleisten<<, die den Kompositionen sofort eine räumliche Ordnung geben, indem sie gewissermaßen zwischen Vordergrund und Tapete trennen. Im Gegensatz zu diesen strengen und deutlichen Rahmungen und Definierungen, steht die Art und Weise, wie Wunderlich malt. Denn sein Vorgehen hat eher etwas Freilegendes. Ikonen der amerikanischen Popkultur treffen auf Mittelalterassoziationen Die andere Sphäre, auf die die Grimmsche Definition verweist, ist das Religiöse. Und das durchzieht das Werk Wunderlichs immer wieder – allerdings weniger als Glaube, sondern vielmehr als Stofflieferant. Besonders deutlich wird das, wenn er beispielsweise die biblische Begegnung von David und Goliath in sein Figurenpersonal übersetzt und eine schmächtige Mickey Mouse mit Flitzebogen gegen King Kong antreten lässt (King Kong vs. Mickey Mouse, 2001). Wenn er auf einer Prozession (2002) von einer Gruppe Mickey-Mouse-Burgfräulein mit rutschenden Röcken statt Heiligenfiguren Bodybuilder herumtragen lässt. Oder wenn er statt Christus King Kong ans Kreuz schlägt, dabei das dritte Golgatha-Kreuz durch einen der Karl-May-Folklore entsprungenen Totempfahl ersetzt und die Himmelfahrt Jesu in Form eines Luftballons mit dessen Namenszug vorwegnimmt, während Maria Magdalena als Leerstellenschattenriss, zugleich an- und abwesend, die Szenerie beobachtet (Die Gefangennahme des King Kong, 2003). Als ehemaliger Ministrant fühlt sich Felix Wunderlich in den biblischen Geschichten eher zu Hause als in der griechischen oder römischen Mythologie. Und die Art und Weise, wie er von seiner Arbeit spricht, stellt sie in eine Nähe zu diesem Amt. Um >>Reinigung<< und >>Waschungen<< geht es da, um >>Andacht halten<< vor den Bildern: >>Ich spreche von Wiedergeburt, Auferstehung und Schuld. Ich male Kreuze, Heiligenscheine und andere religiöse Requisiten, male Martyrien und Selbstgeißelung. […] Ich male im Stehen, Knien und Sitzen, wie auf einer Gebetsbank. Das sind Rituale, die auch ein Teil der Malerei sind. Der Heiligenschein und das Kreuz sind Erfindungen der Malerei.<< Sein Vorgehen hat nicht nur etwas von einer Befreiung, sondern eben auch etwas von einem Ritual. Entscheidender Schritt bei der Entstehung seiner Bilder ist die Materialvorordnung. Wunderlich malt nicht auf eine weiße Leinwand, sondern er geht von bemalten Flächen aus, die als Rückstände anderer Werke übrig geblieben sind: Leinwände, auf die er Farbreste aufgetragen hat, an der er während früherer Arbeiten Pinsel abgestrichen hat etc. Auf diese Weise entstehen unterbewusste, zufällige, historische, abstrakte Schichten, die zum Ausgangsmaterial werden. Am Anfang des Bildes steht keine gestalterische Idee; Wunderlich drängt der Leinwand nichts auf, sondern er begibt sich auf die Suche nach der den Flächen innewohnenden Formen. Durch Reinigen und Abwaschen von Schichten, durch Aufhellen und Eingrenzen versucht er, Spuren zu finden, subkutane Strukturen freizulegen, um so die eigentliche Figur herauszuarbeiten. Im Abstrakten sucht er nach dem Konkreten. Das mag zunächst etwas befremdlich klingen, hat aber mit Esoterik wenig zu tun. Denn Wunderlich nimmt als Finder eine kreative Rolle ein. Für ihn hat Entdecken immer auch mit Gestalten zu tun: >>Wenn du einen Dinosaurier ausgräbst, hat der immer auch deine Form.<< Seine Arbeitsweise ließe sich dementsprechend als gleichermaßen psychoanalytisch wie archäologisch beschreiben: In seinen Bildern deckt er das Versteckte, das Überdeckte, das Dahinter- und Darunterliegende auf und gibt dem Gefundenen eine Gestalt. Andererseits bringt er eben doch kein endgültiges Licht ins Dunkel, sondern belässt es beim geheimnisvoll Unklaren. Das Hasenporträt (2002) ist dafür ein schönes Beispiel: Zwar konkretisiert er mit dem Hasenkostüm einen frühen Kindheits-(Alp-)Traum – doch wer unter der Fellmütze steckt, bleibt schemenhaft: Das Gesicht verschwindet in der Struktur der Leinwand. Diese Kombination von Deutlichem und Unklarem, von Vertrautem und Unverständlichem, gibt den Bildern von Felix Wunderlich ihr charakteristisches Irritationspotential. Die freudianischen Qualitäten Wunderlichs belegen auch die 2008 entstandenen Schwanzgesichter. In dieser kleinen Serie ist die gestalterische Haltung eine ähnliche, die Herangehensweise sowie die Eindeutigkeit des Gefundenen allerdings eine gänzlich andere. Es handelt sich bei den Schwanzgesichtern um schablonenhafte Bearbeitungen allgegenwärtiger Magazintitelbilder, bei denen durch Übermalung und Ausblendung eine verblüffende Analogie auf einfachste Art und Weise deutlich gemacht wird: die phallische Qualität des Dekolletees. Sender und Empfänger des sexuellen Schlüsselreizes werden in diesen Bildern auf merkwürdige Weise vereint. Es entstehen groteske Zwitter, die gerade darum verstörend wirken, weil eigentlich keine Veränderung vorgenommen wurde – der Ausschnitt wurde lediglich zum Bildausschnitt. Ähnlich wie Magritte in seiner Vergewaltigung das Gesicht einer Frau durch Brüste, Nabel und Scham bildet, wird der weibliche Ausschnitt in den Schwanzgesichtern zum männlichen Geschlechtsteil. Indem er den alltäglichen Blick spielerisch pornographisiert, verweist Wunderlich auf die sexualisierten Oberflächen der Gegenwart. Der blaue Reiter und die Käfergruppe Neben religiösen und unterbewussten Schichten ist auch die Kunstgeschichte immer anwesend. Allerdings – wie zu erwarten – nicht als gelehrtes Zitat, sondern als Spielmaterial. Schon im Titel des großformatigen Werkes Der Blaue Reiter gehört in die Käfergruppe (2008) konfrontiert Wunderlich die Kunstgeschichte mit den Ordnungskriterien einer Kindertagesstätte. Und tatsächlich passt der blaue Reiter, ein Knabe im Raumanzug mit Helm, eher in eine Krabbel- als zu der gleichnamigen Künstlergruppe. Wobei der Pferdekopf, der hinter der Schulter des Jungen verkehrt herum auftaucht, durchaus als Mischung von Pferden Franz Marcs, Chagalls und jenem aus Picassos Guernica gesehen werden könnte. Das ganze Gemälde ist ein Verwirrspiel. Die schon erwähnten Zierleisten werden hier zu Bändern, die den Raum allerdings nicht klar strukturieren, sondern die verschiedenen Bildebenen miteinander verbinden und ineinander verheddern. Der blaue Reiter sitzt auf einem Pferd, dessen Körper erst auf dem Kleid der vor ihm gehenden Figur als Umriss sichtbar wird – die verschiedenen Schichten des Ausgangsmaterials bleiben so erhalten und geben der Komposition ihre charakteristische Gestalt. Die Frauenfigur selbst ist mit Bändern gefesselt, die der Reiter als Zügel in den Händen hält. Der im Titel genannte Käfer entpuppt sich als Umriss jener altbekannten Schokoladenkäferpappunterlagen. Den trägt nicht nur der Reiter auf seinem Anzug, sondern auch eine eindeutig weibliche Erzengel-Figur um den Hals, die in eigentümlich formelhaft-manierierter Weise einen Speer trägt. Ein Friedenstaubenschatten schwebt unter einer plastisch gestalteten Krone, dazu ein Kreuz, ein Sowjetstern, ein Hitlerbart, ein Luftballon etc. Wunderlich, der seine Nike-Turnschuhe mit einem zusätzlichen Adidas-Logo versehen hat, liebt das Spiel mit den Zeichen. Neben diesen Bildern, die man als postmodernen Dada-Pop-Art-Surrealismus der neuen figürlichen Malerei bezeichnen könnte, entsteht seit 2009 eine neue Werkgruppe. Schon in zurückliegenden Bildern tauchten Flächen auf, die in ihrer Mehrschichtigkeit belassen wurden. In Erscheinung oder Golem (beide 2008) gab es geheimnisvoll leuchtende Bereiche, die sich der Eindeutigkeit der sie kontrastierenden deutlich konturierten Figurengruppe bzw. der Zierleiste entzogen. Die jüngst entstandenen Bilder fokussieren diesen Aspekt, bleiben im Abstrakten und überlassen dem Betrachter einen Teil der psycho-archäologischen Arbeit. Weniger verstörend, weniger kunstvoll und im wahrsten Wortsinne eigen-artig – kurz: weniger wunderlich sind sie indes nicht. Ingo Gerlach (Dramaturg, Komische Oper, Berlin)
2) >Erlkönige< von Julia Fukuda Während das Frühwerk von Felix Wunderlich noch eine subjektive Archäologie der eigenen Geschichte, Person, Seele zeigt wird nun der Künstler zum distanzierten Wissenschaftler, der nicht mehr sucht, sondern findet: seine Modelle kommen zu ihm ins Atelier und hinterlassen auf den Leinwänden ihre Handschrift. Sie offenbaren sich, mal mehr und mal weniger, und heraus kommt ein abstraktes Etwas, vielleicht ein Abdruck ihres aktuellen Seelenzustands, vielleicht ein Traum oder eine Vision, vielleicht etwas unfassbares, aber in jedem Fall etwas sehr persönliches. Wunderlich lässt dieses Chaos zu, verschafft sich einen überblick und sucht den Einblick. Er sucht den Kern, versucht zu verstehen wo die Essenz der Offenbarung seiner Modelle zu finden ist. Dafür mildert er das Chaos ab, überdeckt es lasierend, um anschlie§end eine innere Ordnung herzustellen und den Kern freizulegen. In dieser Position ist Felix Wunderlich nicht mehr der mit seiner eigenen Psychoanalyse beschäftigte Künstler, er hat die Seiten gewechselt. Kein abrupter Wechsel, der Schizophrenie nahelegen könnte. Vielmehr ein Wandel durch den Wunsch nach Einsicht aus einer anderen Perspektive: vom Patienten zum Therapeuten, nur ohne therapeutische Anma§ungen. Wunderlich ist nicht mehr kafkaesk mit der Suche nach seinen psychologischen Wurzeln beschäftigt, sondern abgenabelt, dem komplizierten Findungs- und Loslösungsprozess entwachsen (erwachen + entwachsen = erwachsen?). Die Abnabelung ist ein Prozess, der zwar nie abgeschlossen sein kann, aber durch die neue Schaffensphase nicht mehr Thema sondern akzeptierter Lebensbestandteil ist. Er hat genug Abnabelung vollzogen um zu begreifen, dass der Generationenkonflikt nicht lösbar ist. Niemals können wir uns völlig losgelöst von unseren Eltern verstehen, niemals können wir auch nur theoretisch losgelöst von ihnen sein. Vice versa: Niemals können unsere Eltern, auch nicht bei aller Bemühung um objektive Distanz, unsere Identitätsbildung und deren Abhängigkeit von Ihnen begreifen. Niemals werden unsere Eltern das selbe Bild sehen wie wir: es ist schlicht unmöglich. Wohin führt nun diese Erkenntnis über die Un(auf)lösbarkeit des Generationenkonflikts? Diese Unmöglichkeit zu begreifen bedarf einer bewussten Nachforschung und Reflektion. Die Akzeptanz dieser Unmöglichkeit kann als gelungener Abnabelungsprozess verstanden werden. Einen Schlussstrich setzen unter die Psychoanalyse und die Perspektive ändern: statt des Blicks in sich selber und die Auseinandersetzung mit seiner Identitätssuche richtet Felix Wunderlich nun den Blick von au§en auf das Geschehen: Seine neuen Werke bezeugen die hinzu gewonnene Möglichkeit auch Anderes freizulegen als die eigene Identität, begleitet vom Wissen und der Akzeptanz der oben beschriebenen Unmöglichkeit. >Die Kunst fliegt um die Wahrheit, aber mit der entschiedenen Absicht sich nicht zu verbrennen. Ihre Fähigkeit besteht darin in der dunklen Leere einen Ort zu finden, wo der Strahl des Lichts, ohne dass dies vorher zu erkennen gewesen wäre, kräftig aufgefangen werden kann.< (Kafka, Oktavenhefte, 22.01.1918) F.W. sucht eben diese Wahrheit von außen, wobei er sich bewusst ist, dass es nicht die eine wahre Wahrheit gibt. Analog zur Fotografie, die eine Momentaufnahme als Wahrheit einfängt, entdeckt er den Kern, das Zentrum oder eben die Wahrheit in den von seinen Modellen vorbereiteten Leinwänden. So, wie sich die Linse der Kamera schlie§t, um eben diesen >Strahl des Lichts< aufzunehmen, grenzt F.W. Schichten über Schichten legend die >dunkle Leere< ein, bis sein Fokus sich als strahlendes Zentrum herauskristallisiert. >Die Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendetsein: Das Licht auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts.< (Oktavenhefte, 11.12.1917)
Das Leuchten, das von F.W.s neueren Bildern ausgeht, ist so kräftig, dass das Dunkel um den Kern herum kaum mehr als Dunkelheit wahrgenommen wird. Der Blick wird hingegen fast voyeuristisch angezogen von der herausgearbeiteten Essenz des Bildes: durch die Linse wird dem Betrachter der Blick auf den Kern freigegeben. Ein intimer, unterbewusster Kern, der ohne die archäologisch-fotografische Arbeitsweise des Künstlers versteckt geblieben wäre.